Bis 1919: Pionierphase in den “Katakomben”

Bis 1919 ist es Mittelschülern streng verboten, sich zu Vereinen zusammen zu schließen (Koalitionsverbot). Dennoch entstehen im Untergrund zahlreiche “Pennalien”, wie Schülerverbindungen auch genannt werden. Am Staatsgymnasium Feldkirch lassen sich Pennalien spätestens ab den 1880er Jahren belegen. Dort bildet sich spätestens 1897 mit Alemannia die erste Vorarlberger Mittelschulverbindung, die nachweisbar einer katholischen Weltanschauung verpflichtet ist. 

Alemannia Feldkirch muss jedoch bereits 1898 wieder die Segel streichen, nachdem ihre deutschnationale Konkurrentin von den Schulbehörden aufgedeckt worden war.Die katholischen Studentenverbindungen sind keine kirchlichen Einrichtungen oder religiösen Vereinigungen. Sie sind weltanschauliche Gesinnungsgemeinschaften, die als christlichsoziales Gegengewicht zu den deutschnationalen Pennalien gegründet werden. 

1907/08 erreichen die politischen Auseinandersetzungen zwischen den aufstrebenden Christlichsozialen und den Deutsch- nationalen einen Höhepunkt. Der “akademische Kulturkampf” an Österreichs Hochschulen eskaliert. Die Folge ist eine Gründungswelle katholischer Hoch- und Mittelschulverbindungen. In Vorarlberg werden in rascher Folge vier katholische Pennalien gegründet: 1907 Siegberg Dornbirn und Kustersberg Bregenz, 1908 Artus Tafelrunde Bregenz und Clunia Feldkirch.

Bereits im Sommersemester 1908 begründen Siegberg und Kustersberg einen ersten “Vorarlberger Mittelschülercartellverband” (VMCV), dem in der Folge auch Artus Tafelrunde und Clunia beitreten. Siegberg, Kustersberg und Artus Tafelrunde” treten gleichzeitig dem österreichweiten “Mittelschüler-Cartell-Verband“ (MCV) bei, der jedoch um 1913 in Agonie verfällt.

Alle Vorarlberger Pennalien müssen von Zeit zu Zeit “sistieren” (ihren Betrieb einstellen); sei es auf Druck der Schulbehörden oder aus Mangel an Aktiven. Viele der älteren Aktiven rücken ab 1914 zum Militär ein. Der 1. VMCV scheint, wie Artus Tafelrunde, den Ersten Weltkrieg nicht zu überdauern.

1919 bis 1938: Zeit der Bewährung

1919 erringen die Mittelschüler die Koalitionsfreiheit, bleiben aber dem strengen Regiment der Schulleitungen unterworfen. Nach wie vor wohnen praktisch alle Schüler am Studienort; in privaten „Buden“ oder in Internaten. Die Pennalien nützen die neue Freiheit und präsentieren sich der Öffentlichkeit. In Wien wird ein “Verband der katholisch-deutschen Pennalverbindungen Österreichs” (VPV) aus der Taufe gehoben, der allerdings um 1925 seinen Zenit überschreitet und sich 1931 wieder auflöst. Von den Vorarlberger Verbindungen gehört ihm nur Clunia Feldkirch (1919 bis 1926) an.

Siegberg, Kustersberg und Clunia schließen sich 1922 abermals zu einem “Vorarlberger Landeskartellverband” (VLKV) zusammen, der jedoch keinen allzu langen Bestand gehabt zu haben scheint. Jedenfalls nehmen sie 1924/25 einen neuen Anlauf. Doch auch dieser zweite “Landesverband kath.-deutscher Mittelschulverbindungen” (VLKV) scheint bereits nach wenigen Monaten wieder an Differenzen zwischen Kustersberg und Clunia zerbrochen zu sein. Die drei Verbindungen veranstalten aber immer wieder gemeinsame Treffen und Tagungen.

1928 entsteht mit Unterstützung der Amelungia Innsbruck am katholischen Privat-Lehrerseminar in Feldkirch eine Markomannia, die ihren Betrieb ohne Wissen der Internatsleitung im Verborgenen führt und zu den anderen Vorarl- berger Verbindungen keinen Kontakt gepflegt zu haben scheint. Zu Ostern 1933 fliegt Markomannia Feldkirch auf und muss ihren Betrieb für immer einstellen. Fast gleichzeitig gründen einige Schüler am Privatgymnasium der Zisterzienser im Kloster Mehrerau, eine Augia Brigantina Bregenz. Die Gründung kann zwar offiziell erfolgen, formell aber nur als Ferialverbindung.

Auch die katholischen Pennalien außerhalb der Internate stoßen zunehmend auf den Widerstand der „Amtskirche“. Sie setzt auf die “Katholische Aktion”, auf straffe kirchliche Gliederungen statt freiem Vereinskatholizismus; auf die Marianischen Studentenkongregationen statt Studentenverbindungen. Jahr- zehntelang waren die Verbindungsstudenten in den Kongregationen führend aktiv gewesen, nun solle den Sodalen verboten werden, Pennalien beizutreten. 1932 eskaliert der Streit mit Bischof Waitz, der nur mühsam und halbherzig geschlichtet werden kann.

Gleichzeitig verdüstert sich die politische Situation in Österreich immer mehr: Während Christlichsoziale und Sozialdemokraten den Bürgerkrieg proben, nimmt der nationalsozialistische Terror zu. 1933 wird die Koalitionsfreiheit der Mittelschüler massiv eingeschränkt; erlaubt sind nur noch Schülervereinigun- gen, die zur Pflege österreichisch-vaterländischer Gesinnung bestimmt sind oder der sittlich-religiösen Erziehung dienen. Damit müssen die deutsch- nationalen Pennalien wieder in den Untergrund abtauchen; die meisten werden behördlich aufgelöst, andere lösen sich vom „modernen“ Nationalsozialismus beseelt freiwillig auf. Unter diesen Vorzeichen erfolgt am 9. September 1933, am Rande des österreichische Katholikentages in Wien, die Gründung
eines neuen “Mittelschüler-Kartell-Verbandes der katholischen, deutschen,
farbentragenden Studentenkorporationen Österreichs” (MKV; offizielle Bezeichnung seit 1935). Von den Vorarlberger Pennalien tritt ihm vorerst nur Kustersberg Bregenz (1934) bei.

Es ist Zeit für die katholischen Verbindungen, klar Stellung zu beziehen und offen Partei zu ergreifen, gegen den Nationalsozialismus, und für Österreich. Für ein Österreich allerdings, das die Christlichsozialen mit der Errichtung eines autoritären „Ständestaates“ vor der drohenden Hitlerdiktatur zu behaupten versuchen. Zu diesem Zweck soll die österreichische Jugend gleichgeschaltet werden. Die Verbindungen stehen vor der Wahl: “Staatsjugend” oder “Konkor- datsjugend”? In den Jugendorganisation der Vaterländischen Front aufgehen oder die formelle Unterstellung unter die Kirchenhierarchie anerkennen? Sie entscheiden sich für die zweite Möglichkeit. Siegberg, Kustersberg, Clunia und Augia Brigantina schließen sich 1935 zum “Kartellverband der katholischen deutschen Mittelschulverbindungen Vorarlbergs” (VMCV) zusammen, der sich dem kirchlich geführten Landes- verband der katholischen Jugendvereine angliedert und damit seine Autonomie weitgehend sichern kann.

Im Laufe der Zeit: II. Weltkrieg, Wiederaufbau1938 bis 1945: Verbot, Verfolgung und Widerstand

Nach der Okkupation Österreichs durch die deutsche Wehrmacht im März 1938 werden die katholischen Studentenverbindungen vom nationalsozialistischen Regime sofort aufgelöst und verboten. Zahlreiche Verbindungsmitglieder verlieren ihre Stellung, erhalten Berufs- oder Gauverbot oder werden in Gestapo- Haft genommen. Nicht wenige landen in den Konzentrations- lagern, einige bezahlen ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus sogar mit dem Leben. Die meisten werden, wie abertausende junge Männer, als Soldaten in einen verbrecherischen Krieg geschickt. Viele kehren nicht mehr heim.

Von den wenigen ehemaligen Aktiven der katholischen Pennalien, die während des Krieges - meist Medizin - studieren dürfen, schließen sich einige den ab 1940 als geheime Widerstandsgruppen gegründeten oder reaktivierten katholischen Hochschulverbindungen an.

1946 bis 1956: Mühsamer Neubeginn

Der Neubeginn nach der Befreiung Österreichs fällt schwer. Die Soldaten, die auf die Schulbänke zurückkehren, wollen so schnell als möglich maturieren. Die alten Bräuche der Studentenverbindungen erscheinen vielen Jungen antiquiert, und nach Jahren der Bevormundung ist der Drang nach individueller Lebensgestaltung groß. Andere wieder suchen eher eine religiöse Orientierung in kirchlichen Jugendorganisationen. Auf Unterstützung durch die “Amtskirche” können die Verbindungen nicht bauen. Hinzu kommt die neue Mobilität: Fahrschüler lösen die Studenten ab.

Dennoch gelingt bis 1948 die Reaktivierung der Siegberg Dornbirn, Clunia Feldkirch und Kustersberg Bregenz. Die Wiedergründung Markomannias an der Lehrerbildungsanstalt in Feldkirch und Augia Brigantinas in der Mehrerau scheitert am Widerstand der Schul- und Internatsleitungen. Dafür ermöglicht die Verbreiterung des Schulangebots 1949 die Gründung einer Sonnenberg Bludenz. In diese Zeit fällt der erneute Zusammenschluss zum “Verband der katholischen Mittelschulverbindungen” (VKMV), der jedoch nicht lange floriert. Zumindest bei „Kustersberg“ (1951) und „Clunia“ (1955) schläft der Aktiven- betrieb mit der Zeit wieder ein.

1957 bis 1983: Regeneration im MKV

Häufig sind die nahenden Jubelstiftungsfeste, die runden Geburtstage der Verbindungen, Anlass zu verstärktem Engagement. Jedenfalls erfolgte 1957/58 ein regelrechter Energieschub, vor allem in Bregenz: 1957 wird am Gymnasium die jubilierende Kustersberg reaktiviert, die noch im selben Jahr für die Schüler der Handelsakademie und der Höheren Technischen Lehranstalt die Tochter- verbindung Wellenstein Bregenz gründet. 1958 folgt die Gründung einer Habichtsburg Bregenz und die Reaktivierung der Clunia Feldkirch.

Erstmals sind damit sechs katholische Pennalien aktiv, und einmal mehr stellt sich die Frage der Zusammenarbeit - diesmal allerdings unter geänderten Vorzeichen: Sollen die Vorarlberger Verbindungen erneut einen autonomen Verband bilden oder sollen sie sich dem 1945 wiedergegründeten “Mittel- schüler-Kartell-Verband der katholischen farbentragenden Studentenkorpo- rationen Österreichs” (MKV) anschließen? - Für den MKV ist Vorarlberg der letzte “weiße Fleck”, den es zu gewinnen gilt. Während sich die drei alten Verbindungen traditionell an den Hochschulverbindungen (ÖCV) orientieren und mit dem ausgefeilten Farbenbrauchtum des MKV zunächst wenig anfangen können, setzten die jungen Verbindungen auf einen schlagkräftigen Verband und die große Gemeinschaft. Wellenstein (1958) und Habichtsburg (1959) treten dem MKV bei. Parallel dazu laufen die Bemühungen, einmal mehr einen Landesverband zu gründen. Soll es ein autonomer Verband sein oder ein Landesverband des MKV? An dieser Frage scheiden sich die Geister.

1959 konstituiert sich - unabhängig vom MKV - erneut ein “Verband der katholischen Mittelschulverbindungen Vorarlbergs” (VKMV).

Schließlich führt aber das Werben des MKV doch zum Erfolg. Nach Wellenstein und Habichtsburg Bregenz treten ihm auch Sonnenberg Bludenz (1960) und Kustersberg Bregenz (1963) bei. Die vier MKV-Verbindungen gründen 1963 MKV-”Landesverband der Vorarlberger Mittelschulverbindungen” (VLV). Noch im selben Jahr folgt ihnen Siegberg Dornbirn in den MKV, 1965 schließlich auch Clunia. Der VLV erweist sich als erster Verband von dauerndem Bestand. Der MKV als Dachverband gibt den Vorarlberger Verbindungen Rückhalt und eröffnet ihnen Kontakte und Freundschaften in ganz Österreich.

1968 lädt der VLV erstmals zum Pennälertag, zur Jahrestreffen des MKV, nach Bregenz. Doch in den folgenden Jahren geraten die meisten Vorarlberger MKV-Verbindungen in eine Nachwuchskrise, die Habichtsburg nicht überlebt. Doch Ende der 1970er Jahre erleben die Pennalien wieder einen Aufschwung. 1980 gründet die VLV-Spitze an der neuen HTL Rankweil sogar eine neue Verbindung; Vennonia Rankweil kann allerdings nie richtig Fuß fassen und wird 1992 wieder aufgelöst. 1983 wird in der Mehrerau Augia Brigantina Bregenz wiedergegründet; diesmal mit Unterstützung des Abtes. Vennonia und Augia Brigantina werden sofort nach ihrer Gründung in den VLV aufgenommen und treten später auch dem MKV bei (Augia Brigantina 1985, Vennonia 1988).

Ab 1984: Aufschwung in einem dynamischen Landesverband

Der VLV, der 1986 in “Vorarlberger Mittelschülerkartellverband” (VMKV) umbenannt wird, erlebt einen enormen Aufschwung. Der VMKV verstärkt das schulpolitische Engagement, forciert die interne Weiterbildung in weltanschau- lichen Fragen und trägt wesentlich zur inhaltlichen Neupositionierung des MKV bei, die im MKV-Grundsatzprogramm von 1987 Gestalt annimmt. Dazu zählt auch eine klare inhaltliche und personelle Abgrenzung gegenüber dem politischen Rechtspopulismus (Haider) und der Einsatz für die europäische Integration Österreichs.

Die Bemühungen der dynamischen Vorarlberger, die inhaltlichen Konturen des MKV zu schärfen, tragen zwangsläufig zur Polarisierung in einem Dachverband von über 160 Vereinigungen bei, der auf Ausgleich bedacht sein muss. Am stärksten polarisiert den Verband aber eine andere Frage: die “Mädchenfrage”.

Se it 1987: Integration von Mädchen

Die Frage der Aufnahme von Mädchen stellte sich in den ersten Jahrzehnten nicht, da nur wenige Mädchen Mittelschulen besuchten, und die wenigen reine Mädchenschulen. Spätestens ab den 1960er Jahren nahm die Zahl der Mittelschülerinnen stark zu und in den staatlichen Mittelschulen wurde die Koedukation eingeführt. Vereinzelt gliedern Pennalien “Damenzirkel” oder “Mädchenzirkel” an, ohne die Mädchen rechtlich in die Verbindung zu integrieren. Später entstehen auch katholische Mädchenverbindungen, die sich am Rande des Pennälertages 1988 in Feldkirch zum “Verband farbentragender Mädchenverbindungen” (VFM) zusammenschließen.

1987 beginnt Wellenstein Bregenz, befreundete Mädchen in einem “Damenzirkel” zu organisieren; 1989 folgt Clunia Feldkirch und 1990 Siegberg Dornbirn. Clunia und Siegberg verfolgen damit aber weiterreichende Ziele: die Vollintegration von Frauen. Der VMKV setzt sich daher für eine entsprechende Öffnung des MKV ein: nach dem Vorbild des befreundeten „Schweizerischen Studentenvereins” soll der MKV künftig auch gemischten Verbindungen und reinen Mädchenverbindungen ein gemeinsames Dach bieten.

Doch mit diesem Modell, das auch vom VFM abgelehnt wird, finden die Vorarlberger im MKV keine Mehrheit. Als sich Clunia Feldkirch 1991 und Siegberg Dornbirn 1992 für die gleichberechtigte Aufnahme von Mädchen entscheiden, müssen sie gleichzeitig aus dem MKV austreten. Da der MKV zudem nicht (mehr) duldet, dass dem VMKV Verbindungen angehören, die nicht dem MKV angehören, nabelt sich der VMKV rechtlich vom MKV ab und benennt sich später in “Vorarlberger Mittelschülercartellverband” (VMCV) um, da der MKV Namensverwechslungen befürchtet. Die vier Verbindungen, die keine Mädchen aufnehmen und damit im MKV verbleiben konnten, schließen sich parallel zum VMCV zu einem “Vorarlberger Landesverband des MKV” (VLV) zusammen. Damit bestehen seit 1992 formell zwei Verbände nebeneinander, die jedoch in Personalunion geführt werden. Was im MKV nicht möglich war, funktioniert im VMCV problemlos: ein gutes Miteinander reiner Burschenverbindungen und “gemischter” Verbindungen.