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Keinen Tropfen im Becher mehr (Lindenwirtin)

    1. Keinen Tropfen im Becher mehr
    und der Beutel schlaff und leer,
    lechzend Herz und Zunge.
    Angetan hat mir’s dein Wein,
    deiner Äuglein heller Schein,
    [:Lindenwirtin, du junge!:]

    2. „Angekreidet wird hier nicht,
    weil’s an Kreide uns gebricht“,
    lacht die Wirtin heiter.
    „Hast du keinen Heller mehr,
    gib zum Pfand dein Ränzel her,
    [:aber trinke weiter!“:]

    3. Tauscht der Bursch sein Ränzel ein
    gegen einen Krug voll Wein,
    tät’ zum Geh’n sich wenden.
    Spricht die Wirtin: „Junges Blut,
    hast ja Mantel, Stab und Hut;
    [: trink und lass dich pfänden!“:]

    4. Da vertrank der Wanderknab’
    Mantel, Hut und Wanderstab,
    Sprach betrübt: „Ich scheide.
    Fahre wohl, du kühler Trank,
    Lindenwirtin jung und schlank,
    [:liebliche Augenweide!“:]

    5. Spricht zu ihm das schöne Weib:
    „Hast ja noch ein Herz im Leib;
    lass mir’s, trauter Wand’rer!“
    Was geschah, ich tu’s euch kund:
    auf der Wirtin rotem Mund
    [:brannte heiß ein and’rer.:]

    6. Der dies neue Lied erdacht
    sang’s in einer Sommernacht
    lustig in die Winde.
    Vor ihm stund ein volles Glas,
    neben ihm Frau Wirtin saß
    [:unter der blühenden Linde.:]

     

    Fakultätsstrophen

    Architekt
    Ein Student der Architektur
    schaut’ auf äußre Reize nur,
    wenn bei der Wirtin er stünde.
    Und er misst mit viel Gefühl
    ihren Form und ihren Stil,
    macht seine Pläne geschwinde
    [:unter der blühenden Linde.:]

    Agragier
    Ein Student der Landwirtschaft
    kam auf seiner Wanderschaft
    unter die blühende Linde.
    Hätt’ Frau Wirtin gern geküsst,
    doch er stank so sehr nach Mist,
    [: dass sie entfloh geschwinde!:]

    Betriebswirt
    Ein Student der Betriebswirtschaft
    kam auf seiner Wanderschaft,
    unter die blühende Linde,
    nahm Frau Wirtin die Unschuld weg,
    zahlte mit einem Verrechnungsscheck
    [:unter der blühenden Linde. :]

    Chemiker
    Auch ein junger Chemikus
    bat Frau Wirtin um einen Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Er hat sie zu stark ionisiert,
    so dass sie sauer reagiert,
    [: unter der blühenden Linde. :]

    Elektrotechniker
    Auch ein Elektrotechnikus
    bat Frau Wirtin um einen Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Und Frau Wirtin die tolle Frau,
    gab ihm einen von zehn KV,
    [:unter der blühenden Linde.:]

    Germanist
    Auch ein Germanist errang
    sich der Wirtin Minnedank;
    doch er tät’ ihr künden,
    wie in grauer Väterzeit
    Liebe geendet mit Herzeleid
    [: durch ein Blatt einer Linden. :]

    Gymnasiast
    Auch ein junger Gymnasiast,
    der da
    seufzte unter der Last
    vieler Schularbeiten,
    sprach zur Wirtin Töchterlein:

    „Küss mich, o Mägdelein
    [: aber sag’s nicht weiter!“ :]

    Informatiker
    Kam ein Informatikus,
    bat ihn Frau Wirtin um einen Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Doch er hatte keine Zeit,
    dachte nur an Bit und Byte,
    [: unter der blühenden Linde! :]

    Jurist
    Dass sie küsste der Jurist,
    gar nicht zu verwundern ist,
    denn es ist nichts Schlechtes:
    Hängt ja doch das Wort: ius, ius,
    eng zusammen mit dem Kuss,
    [: denn er ist was Rechtes. :]

    Mathematiker
    Und ein Mathematicus
    bat Frau Wirtin um einen Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Aus dem einen wurden zwei,
    aus den zweien ‘ne unendliche Reih’,
    [:unter der blühenden Linde.:]

    Mediziner
    Und der Mediziner spricht:
    „Euch, Frau Wirtin, küss’ ich nicht,
    wegen der Bazillen.
    Doch ihr habt ein Töchterlein,
    weil das ist so nett, so fein,
    na, um Gottes Willen,
    riskier’ ich die Bazillen.“

    Pharmazeut
    Und vom vielen Küssen wund
    ward der Wirtin roter Mund,
    horae vespertinae.
    Kam ein Pharmazeut daher
    und besah sich das
    Malheur: [: Recipe vaselinae! :]

    Philologe
    Von der klass’schen Philologei
    war ja auch ein Sohn dabei,
    unter der blühenden Linde.
    Lehrten doch einst schon Catull,
    Horaz, Ovid und auch Tibull:
    [: Küssen ist keine Sünde!“ :]

    Philosoph
    Und der Philosoph nicht dumm,
    bat sie um ein osculum,
    wenn auch nur ein kleines.
    Doch Frau Wirtin lacht und spricht:
    „Auf lateinisch küsst man nicht!“
    [: und sie gab ihm keines. :]

    Physiker
    Horch, da kommt ein Physikus,
    raubt der Wirtin Kuss auf Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Und sie spricht: „Er ist ein Mann,
    der recht thermisch küssen kann,
    [: unter der blühenden Linde!“ :]

    Techniker
    Hört ihr nun den Technikus,
    seine Meinung über’n Kuss:
    Küssen gehöret zur Technik.
    Denn zwei Pole zieh’n sich an,
    wenn auch nur auf momentan,
    [: unter der blühenden Linde.:]

    Theologe
    Auch ein Herr Theologicus
    bat sie schüchtern um einen Kuss,
    unter der blühenden Linde.
    Und Frau Wirtin tat es gern,
    gab ihm einen im Namen des Herrn
    [:unter der blühenden Linde.:]

    Veterinär
    Kam ein Veterinär dazu,
    führt am Halfter eine kranke Kuh,
    unter die blühende Linde.
    Kaum tat er die Wirtin seh’n,
    ließ er gleich das Rindvieh stehn,
    [:unter der blühenden Linde. :]

    Volkswirt
    Auch ein Volkswirt zu früher Stund
    aß und trank sich kugelrund.
    Doch Frau Wirtin bekam – o Schreck!
    – nur einen ungedeckten Scheck.
    [:unter der blühenden Linde. :]

    Zahnarzt
    Und der Zahnarzt gar nicht faul,
    greift Frau Wirtin in das Maul,
    unter der blühenden Linde.
    Denkt, sie braucht ja ganz gewiss
    nach dem Kuss ein neu’ Gebiss.
    [: unter der blühenden Linde.:] 

    Fuchsen
    Auch ein junges Füchselein
    kehrt bei der Frau Wirtin ein,
    einstens mitternächtlich.
    Und er zeigt der Wirtin vor,
    was er erlernt vom Fuchsmajor,
    [:und das ist beträchtlich!:]

    Fuchsmajor
    Und der hohe Fuchsmajor
    warnt die Füchse bang davor,
    in Couleur zu küssen.
    Wenn es aber niemand sieht,
    wenn’s im Dunkeln stets geschieht,
    [:kann er’s nur begrüßen.:]

    Burschen
    Auch ein Siegberg-Bursche fein
    kehrt bei der Frau Wirtin ein,
    unter der blühenden Linde.
    Tauschte mit ihr Kuss um Kuss,
    plötzlich aber rief er: “Schluß!”,
    [:denn er wär´ verdurstet. :]

    Philister
    Kam auch ein bemoostes Haupt,
    küßt die Wirtin unerlaubt
    auf die kalte Schulter.
    Doch die Wirtin spricht: “Mein Sohn,
    du in deiner Position
    wirst dir schon das Küssen
    was kosten lassen müssen!”

    Schlussstrophe
    Als der Lindenwirt es sah,
    was mit seiner Frau geschah,
    hielt er es für Sünde.
    Und der nahm den Wanderstab,
    prügelte den Wandersknab’,
    [:unter der blühenden Linde.:]

     

     

    Autor
    M: Franz Abt (1819-1885)
    T: Rudolf Baumbach (1840-1905)

     

    Auszug aus dem Siegberg Cantusprügel.